Bezahl mich für das Nachdenken
Gastronomie ist Stunden Business. Gerade in einem kleinen Team werden alle Hände in den Operations gebraucht. Du kommst zur Arbeit und legst los: Mise en Place, Pause, die Gäste kommen, Service, etwas Hektik, kleine Pause, weiter Service, dann Verabschiedung, Cleaning, Abrechnung.
Die Schichten sind meist lang. 7-8-9 Stunden. Ab 10 wirds schwierig. Mit dem Arbeitsschutz. Und wenn dauerhaft auch mit der Motivation.
Das Team arbeitet je nach Öffnungszeiten im Schichtdienst. An unterschiedlichen Tage. Gerade wenn am Wochenende die größte Auslastung herrscht, haben alle in der Woche unterschiedlich frei. Und am Wochenende, wenn die Schichten lang sind, haben alle viel zu tun.
Wenn wir Team Meetings haben, also vor den regulären Schichten, gelten diese ebenfalls als Arbeitszeit. Das ist größtenteils schon schwierig, hier nicht zu viel Stunden am Tag zu generieren. Am Wochenende sind solche Team Meetings unmöglich. In der Woche haben auch immer einige an den Meeting-Tagen frei. Wir haben hier eine „kann“ Regel. Wer Lust hast, kommt rein. Wird natürlich bezahlt. Aber muss nicht. Frei ist frei.
Vor kurzem hat mich eine junge Bar-Betreiberin gefragt: “Jörg, wie regelt ihr das mit der kreativen Arbeit?“
Ich musste erst ein nachfragen: „Was genau meinst du damit?“
„Also, wenn ihr ein neues Menü entwickelt, dann muss das Team das ja durchdenken und testen. Wie zahlt ihr das?“
Ich überlegte.
„Also, wenn das Team neue Drink Ideen testen will, mixen sie sich den Drink in der Schicht und probieren untereinander und holen Feedback. Prämise ist natürlich: Kein Alkohol während der Arbeit. Bedeutet: Probieren - nicht „Austrinken“. Die Drinks werden „gebucht“ damit wir die Ware als nicht Umsatz relevant ausbuchen können. Wenn wir dann ein neues Menü machen wollen, setzten wir ein, oder zwei längere Meetings an. Vorab werden die Drinks in einer Gruppe geteilt und es gibt schon Feedback auf die Rezepte, eventuelle bereits Ausschluss, weil nicht für die aktuelle Karte relevant. Die verbleibenden Drinks werden dann in ein, zwei Meetings getestet und dann haben wir neue Drinks.“
„Ja, ok. Aber die Zeit dazwischen? Also, das darüber nachdenken, der Research, das Bücher oder Artikel lesen dazu, sich die Inspiration holen …. Wie zahlt ihr das?“
„Gar nicht“ war meine Antwort. Ich denke, das ist richtig so.
Eine der großen Fragen. Egal, in welcher Branche: Wie zahlt man Kreativität, wie das Denken?
Natürlich hat hier jede Branche unterschiedliche Modelle. Ingenieure bei Google werden Denkzeit sehr gut bezahlt bekommen. Der Output ist aber eventuelle auch ein anderer.
Bei uns gibt es das nicht. Wer Kreative sein möchte, muss sich selber einbringen, Eigenleistung erbringen. Unbezahlt. Der Lohn ist ein Drink auf der Karte, mit etwas Glück wird es einer unserer Bestseller. Ein Drink, der sich im Namen des Erfinders verbreitet, ein Drink der den Kreateur in den Herzen anderer Cocktail-Freunde bekannt macht.
Basilikum war mal eine gute Idee. Ganz unbezahlt.
Wichtig ist nur: Die Spielregeln müssen klar sein. Dieses und jenes zahlen wir. Anderes nicht. Das muss man klar kommunizieren, damit keiner enttäuscht ist, oder sich nicht wertgeschätzt fühlt. Auch, wie das "rechtlich" zu werten ist.
Das steht ganz klar in unseren Arbeitsverträgen. Wer Rezepte in der Bar entwickelt und mit uns teilt, wird dafür nicht gesondert vergütet, wir haben volles Nutzungsrecht. Es gibt auch keinen späteren Anspruch auf Vergütung.
Love it, or leave it.
Drei Stunden Gläser polieren sind in der Gastronomie messbar. Und genau bezahlbar. Drei Stunden über einen Drink nachdenken, nicht.
Ich kenne keinen der heute bekannten Personen aus der Bar, die dafür berühmt wurde, dass er oder sie für das über den Drink nachdenken bezahlt wurde. Gemacht haben sie es trotzdem.