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Der unfaire Vorteil: Mitarbeiter Mangel in der Berliner Raucherbar

Der unfaire Vorteil: Mitarbeiter Mangel in der Berliner Raucherbar

Gestern habe ich mit einem Barbetreiber aus Berlin telefoniert. Er ist verzweifelt. Er findet keine Mitarbeiter mehr. Seine Bar ist zu groß, als dass er sie alleine bespielen könnte. Im besten Fall arbeitet man mit 3 bis 4 Personen pro Schicht. Sie arbeiten schon seit langem mit zu wenig Mitarbeitern. Eine gefährliche Situation, auf Kosten der verbleibenden Mitarbeiter. Das führt über die Zeit oft zu noch mehr Kündigungen. 

Alleine arbeiten ist keine Alternative. Nicht nur fürs persönliche Wohlbefinden. Und der Laden ist zu groß. Auch von den Kosten her. Die Umsätze, die mit einer, zwei Personen zu erzielen sind, funktionieren wahrscheinlich nicht im Kontext von Miete und anderen Fixkosten.

Er sagt, er zahlt gut. Auch sonst gibt es gute Benefits. Er erzählt mir mehr. Zählt jedes, noch so kleine Extra auf. “Seit Wochen, Monaten suche ich auf allen Kanälen. Niemand meldet sich, ich verstehe es echt nicht mehr”.

Dabei ist es offensichtlich, warum er kein Personal findet: Ich frage ihn, ob die Gäste in seiner Bar immer noch rauchen dürfen. “Natürlich!” sagt er fast stolz “Das macht uns aus! Und den Laden voll!”

Nein. Das ist der Grund, warum du keine Mitarbeitenden mehr findest! “Aber das darf ich nicht ändern. Das bringt den Umsatz!”

Ehrlich gestanden habe ich heute keine Rose für dich.

Verkaufe den Laden! Und mach an anderer Stelle ein Konzept ohne Rauchen auf. Oder finde eines, wo Rauchen nicht so sehr deine Mitarbeitenden belastet.

Ich ernte Ärger. Er ist sauer. Aber ich habe das ganze Thema vor gut sechs Jahren schon einmal durchgespielt. Und ich habe es nicht gut gemacht. Sondern herumgeeiert. Genauso wie er jetzt.

Damals haben wir in unserer Boilerman Bar am Eppendorfer Weg das Rauchen abgeschafft. Und sofort viel Umsatz und Gäste verloren. Das war ernüchternd. Wir mussten feststellen, dass ein Großteil der Gäste gar nicht mehr wegen unseres Konzeptes oder uns kamen. 

Nicht wegen all der Mühe, die wir uns machten. Sondern schlicht und einfach: weil sie hier noch rauchen konnten. Das nagt am Ego und ist unbefriedigend. Je weniger Läden rauchen ließen, umso voller wurde unsere Bar. Und natürlich gab es auch noch “rauchende” Gäste, die unser Konzept schätzten. Aber viele kamen primär fürs Rauchen. Alle rauchten. Die Luft war zum Schneiden. Die Mitarbeiter, zu der Zeit alle Raucher, und ich konnten hier nicht mehr bis zu 10 Stunden an vollen Tagen unter Druck arbeiten. Ende. Also: Rauchen abgeschafft. 

Ich bin ein großer Freund des “unfairen Vorteils”. Nutze einen Vorteil, den andere nicht haben. Eine Raucherbar ist, meiner Meinung nach, kein solcher Vorteil mehr. Zumindest nicht, wenn du Mitarbeiter benötigst.  Es ist eher ein unglaublicher Nachteil. Und er führt dich auf die falsche Fährte. Der Laden ist nicht wegen deiner tollen Leistung voll. Sondern, weil das “innen Rauchen können” die Anziehungskraft ist. Für Raucher.

Die Umsätze gingen seiner Zeit bei uns deutlich zurück. Stammgäste blieben weg.  Außerdem haben wir bei sinkenden Umsätzen ungeplante Kosten erzeugt. Die Raucher standen jetzt, gerade an den Wochenenden, lange und laut vor der Tür. Rauchen. Das bedeutete einen Mitarbeiter mehr, der Lautstärke Babysitter an der Tür spielte. Nachbarschaftsbar bedeutet: sich um die Nachbarn kümmern. 

Und wir haben uns sehr lange nicht von dem Umsatzrückgang erholt. Es wurde etwas besser. Aber nicht mehr wirklich gut. Nicht so gut wie vorher. 

Ich habe unterschätzt, wie sehr Gastronomie ein Gefühl und Gewöhnung ist. Ein Großteil der Gäste hatten uns unwiderruflich als Raucherbar abgespeichert und abgeschrieben. Und wir haben uns Mühe gegeben. Newsletter, Lärm, viel Instagram , Events, Einladungen. Wir wollten allen erklären, dass in der Boilerman Bar am Eppendorfer Weg nicht mehr geraucht wurde. Denn das Konzept war und ist gut. Die Boilerman Bars in den 25hours Hotels, immer schon rauchfrei, sind sehr erfolgreich. 

Ich habe unterschätzt, welche Mühen notwendig waren, um ein so tief sitzendes Gefühl, so eine Wahrnehmung, bei unseren ehemaligen Gästen zu ändern. 

Und im Rückblick war es den Aufwand bei weitem nicht wert. Wenn das Konzept gut ist, und das ist es, hätte man an neuer Stelle mit Knall deutlich besser weitermachen können. So glaube ich heute. Stattdessen haben wir herumgeeiert. Klar, so eine Entscheidung ist hart. Aber heute würde ich eine so tiefgreifende Änderung, die mit Stimmung, Emotionen und einem Gefühl zu tun hat, nicht mehr lange aufschieben. Sondern den Laden verkaufen. Gastronomie ist Location und Lage Business. Und ganz viel Emotion. Da kannst du noch so lange auf Social Media eine neue Geschichte für einen länger bestehenden Laden erzählen. Das wird schwer verstanden. Kommt nicht an. Ist enorm anstrengend  

Eine globale Pandemie hat das Rumgeeier indirekt beendet. Es kamen ganz andere Probleme. Wir haben die Boilerman Bar am Eppendorfer Weg 2022 verkauft. 

Aber Berlin hatte gefragt. Meine Antwort: Verkauf den Laden. Mach woanders weiter.

Er mochte meine Antwort nicht. Und sucht weiter nach Personal. 


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