Die Rolle meines Lebens. Wer Menschen mag, braucht Abstand.
Vor einigen Tagen war ich Zuhörer. In meiner eigenen Bar. Stanislav Vadrna gab einen Workshop im Le Lion. Die Gäste und Zuhörer waren die Teilnehmer des Nikka Perfect Serve Wettbewerbs. Junge Bartenderinnen und Bartender. Und Stans Vortrag drehte sich um:
- wie du ein wirklich herausragender Player im harten Service Game wirst
- wie du auf Gäste wirkst
- und wie du auf dich selbst aufpasst.
Ich kenne und schätze Stan seit 2005. Da habe ich ihn persönlich kennengelernt. Ich kannte ihn aus den wenigen globalen Internetforen, in denen sich internationale Bartender seiner Zeit austauschen. Das DrinkboyForum von Robert Hess war der Place to be. Dann reiste Stan für lange Zeit nach Japan und er war somit der erste europäische Bartender, der auf Facebook und im Forum vom Japanese Way of Bartending berichtete und Video hochlud, die uns allen den Atem raubten. Kristallklares Eis, Cobbler Shaker, den Japanese Hard Shake, der Luft ins Getränk brachte. 2005 traf ich Stan zum ersten mal. Und er brannte. Für alles, was Bartending anging. Lichterloh. Sein Feuer hat alle angesteckt.
2007 wurde er Mitglied einer losen Bewegung von Bartendern, die ich gegründet hatte: The Travelling Mixologists. Er hatte die Bar, die er in Bratislava managte, zu internationaler Reputation gebracht. Und Stan wurde auf den Barshows in Amsterdam und London sowie dem ersten BCB für seine Lehren über den japanischen Weg des Bartendings gefeiert. Er jettete um die Welt. Vorträge, internationale Bars und Player besuchen.
2009 in New York dann, ich glaube, er war so um die 30 Jahre alt, Herzinfarkt. Wake up call. Neuordnung. Er befasste sich sehr mit mentaler Gesundheit, Atemtechniken, Yoga, vegane Ernährung, nahezu kompletter Verzicht auf Alkohol. Und schaffte es von: “diese Medikamente müssen sie jetzt auf Lebenszeit nehmen und alles wird ehrlich gestanden scheiße” zu absoluter Fitness und einen ausgewogenen Jet Set Lifestyle.
Seit sehr vielen Jahren ist Stan nun der Botschafter für NIKKA Whisky auf der ganzen Welt. Der Lifestyle und Kalender sind ähnlich krass. Jeden Tag reisen, Events etc. Aber er hat seinen Stil gefunden. Ist unglaublich fit. Und gibt diese Workshops.
Und ihm kauft man das ab. Er hat Credibility. Denn er hat in unserer Branche schon jung Weltruhm Level gespielt. Und ist dann den harten Weg gegangen, um jetzt nachhaltig und gesund weiterzumachen. Obendrein ist die Art und Weise, wie Stan die Workshops gibt, erfrischen, motivierend und begeisternd.
Im Laufe des Workshops sprach er über Rollen. Dass wir alle Rollen in unserem Leben spielen. Und hoffentlich auch im Hospitality Job. Denn Rollen sind gesund. Und eine gute Trennung. Und er zeigt auf mich und sagte: “Guckt euch Jörg an. 2005 hat er sich die Haare zurückgegelt, eine weiße Bar Jacke angezogen. Und seitdem spielt Joerg die Rolle der Classic Bar und des Löwens."
Ich musste lachen. Wie gesagt, kennen Stan und ich uns gut. Und er hat absolut recht. Seit 2005 spiele ich eine weitere Rolle. Für Außenstehende die Rolle meines Lebens. Unter dieser Rolle kennen mich die meisten Menschen.
Ich sehe das wie Stan. Ich möchte hier kein Hobby-Psychologe sein und irgendwelche Studien zitieren. Aber ich gebe ihm zu 100% recht. Wir alle spielen Rollen in unserem Leben. Und wenn du Gastronomie erfolgreich für sehr viele Jahre schaffen willst, gerade weil es so hartes People Business mit Gästen ist, legst du dir besser eine gute Rolle zu und schirmst das Private gut ab.
2005 habe ich das kleine LE BON LION eröffnet. Eher ein Bar-Promotion-Projekt. Denn es war nur zwei Tage die Woche geöffnet. Seit Jahren hatte ich Ideen zu meiner neuen Classic-Bar gesammelt und wollte diese irgendwann eröffnen. LE BON LION war eine Stufe auf der Treppe dorthin.
Mit der Eröffnung habe ich mir die Haare zurückgegelt und eine weiße Bar Jacke und Schürzen getragen. Dazu kam kurze Zeit später noch eine eher auffällige Brille. Freunde und ehemalige Gäste waren irritiert. Egal. Durchziehen. Und ich habe damit auch bewusst einen Schlussstrich unter meine bisherige gastronomische Laufbahn gezogen. Aufgewachsen im Landgasthof, sieben Jahre eigenes Restaurant mit Bar etc. In der ”Karriere” gab es auch Steps wie Luxushotel oder privater Zigarrenclub. Und aus all diesen Steps habe ich meine Lehren gezogen.
Unterschiedliche Form von Gastronomie brauchen unterschiedliche Rollen. Oder auch das Gefühl, dass das keine Rolle ist, sondern “authentisch”. Im Landgasthof meiner Eltern hat man keine große Rolle gespielt. Da ist man, wie man ist. Im ersten eigenen Restaurant war ich auch mehr Friend und Buddy mit Gästen und mit Angestellten. Ich habe über die Jahre gelernt, dass ich das nicht möchte. Bzw. das diese Nähe für das, was ich hier in der Großstadt machen möchte, nicht passt.
Ich glaube, ich bin immer ein echter, herzlicher Mensch. Zumindest wissen das die meisten, die mich im Service persönlich kennengelernt haben. Aber ich habe gelernt, dass mir Distanz wichtig ist. Und ich brauche eine Rolle. Gerade für eine Bar. In einer Großstadt. Nachts.
Mein Modell ist keines für jede Gastronomie. Mach was dir gefällt. Aber ich spiele seit 19 Jahren diese Rolle. Und finde es gut. Ich habe tatsächlich seit dem Workshop und während ich diese Zeilen schreibe, mich bei ein paar Punkten ertappt, wo ich in meiner Rolle nachlässig geworden bin. Muss ich mal wieder anziehen.
Sich mit Gästen zu verbrüdern, war mir immer ein Graus. Freundschaft und Brüderlichkeit gehören nicht in eine Bar. Über 19 Jahre gibt es ein paar Gäste aus meiner Bar-Welt, mit denen ich auch gerne etwas privat mache. Sehr wenige. Und das soll auch so bleiben.
Meine Frau weiß, dass ich nicht gerne als echter Gast, privat, in meiner Bar bin. Das klingt verrückt, denn auch nach 19 Jahren, sorry werte Kollegen, soviel Stolz muss sein, finde ich, es ist meine beste Bar in Hamburg. Denn Rainer und ich haben sie nach unseren Vorstellungen gebaut. Sie drückt alles aus, was ich liebe. Aber ich bin nicht gerne Gast in meiner eigenen perfekten Bar. Ich möchte da Joerg Meyer, der Inhaber sein. Gäste begrüßen, bewirten und meine Rolle spielen. Ich habe mir mein perfektes Theater, meine perfekte Bühne gebaut. Und möchte dort aber nie Zuschauer sein. Nur auf der Bühne stehen.
Natürlich erfordern Leben und Mitmenschen Kompromisse. Ich bin ab und an mit privaten Freunden in der Bar. Auch gerne mit meiner Frau. Aber sehr selten. Und gerne kurz.
Natürlich freuen sich unsere Mitarbeiter, wenn sie ihre Freunde besuchen oder ihre Familienmitglieder. Mich freut das auch, wenn man stolz auf seinen Arbeitsplatz ist und das zeigen möchte. Aber jeder bei uns weiß, dass ich es nicht mag, wenn Freunde und Familienmitglieder immer zu Gast in der Bar sind und das den anderen Gästen auffällt.
Ich mag keine großen Industrietreffen und Bartender Gruppen in der Bar, wo sich alle in den Armen liegen, begrüßen und unsere Gäste das Gefühl haben, sie sind zweite Klasse und werden nicht mehr beachtet. Das passiert, wenn man Freunde, Buddys und Familienmitglieder empfängt. Und das gefällt mir nicht.
Ich mag es nicht, wenn unsere Mitarbeiter nach der Arbeit privat noch in der Bar mit Gästen einen Feierabenddrink nehmen. Nicht gestattet. Natürlich können sie gerne an ihren freien Tagen mal als Gast mit Freunden kommen. Aber ich möchte, dass das bei mir angemeldet wird und nicht zu oft passiert.
Ich mag Personalabgänge und den Fakt, dass Mitarbeitende in Zivil über einen zweiten Eingang kommen können und erst im “Kostüm” die Bühne betreten.
Vor ein paar Tagen hatte ich den Tag über im Pine Room klar Schiff gemacht und war in Räuberzivil oben am Aufräumen und Putzen. Ich wurde von unten gerufen, ob ich kurz in die volle Bar kommen könnte. Nein. Im Leben nicht. Nicht in “zivil”. Hasse ich. “Regelt das alleine” war meine Antwort.
Großstadt, Bar und Nachtleben sind für mich Bühne. Und Rolle. Natürlich mag ich es cool. Und echt. Keine affektierten Sprachfloskeln oder inszenierten Verhaltensweisen. Der Faktor Mensch ist das Wichtigste im Service. Man muss halt Mitarbeitende finden, die das Schauspiel, die Rolle und die Bühne ähnlich schätzen. Wer hier eine andere Auffassung hat, hat damit sicherlich auch einen Punkt, passt aber nicht auf unsere Bühne.
Heute Abend treffe ich mich mit sechs alten Freunden. Wir werden gut Essen, gut Trinken, in vielen Bars. In meine möchte ich nicht gehen. Weil ich mit meinen “Jungs” ganz privat sein möchte. Das kann ich in meiner Bar nicht. Und das möchte ich auch nicht.
Denn ich liebe die Rolle. Sie ist nur eine, die ich im Leben spiele. Sie macht mir sehr viel Spaß. Sie ist, auch wenn das die einzige ist, die viele von mir kennen, ganz sicher nicht die wichtigste in meinem Leben. Aber sie schafft den nötigen Abstand. Für anstrengende Nächte. Mit Menschen, die sich berauschen. Ich liebe Menschen. Damit das immer so bleibt, brauche ich Abstand.
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P.S: David und Augusto haben mich auf alte LE BON LION Rezepte angesprochen. Meine Idee zu den LE BON LION Drinks war früher simpel: Klassiker. So gut es geht. Ohne Twists. Ohne SchiSchi. Seit gestern ist unser Pine Room wieder freitags und samstags oben geöffnet.
David und Augusto mixen dort jetzt jeden Freitag und Samstag ein altes LE BON LION Menü. In Ihrer perfekten Rolle. Reservierungen sind natürlich nicht möglich. Aber falls du das Theater besuchen willst, komm vorbei. Le Lion, im ersten Stock.
Stan auf Instagram: https://www.instagram.com/ferasaman