Die Zukunft kleiner Gastro Teams: Schreibtische abschaffen, Stehpulte in den Küchendurchgang bauen
Seit gut einem Jahr bin ich auf der Suche. Nach der perfekten Größe. Nach der geheimen Formel. Ich weiß nicht einmal, wie man sie nennt. Aber ich finde sie sehr spannend. Ich würde es meine Suche nach dem Administrations Quotienten nennen. Wobei ich ihn nicht wirklich genau eingrenzen kann. Die Grenzen sind fließend. Aber jeder Gastronom sollte sich bei steigenden Personalkosten die Frage stellen: Wie viel Administration ist notwendig?
Welchen Prozentsatz der gesamten Arbeitsleistung darf die Administration einnehmen? Ist es sinnvoll, bestehende Strukturen zu überdenken, einzureißen, neue Wege zu gehen? Ich denke ja. Kleine, neue Wege für kleine Unternehmen.
Für viele Bereiche eines Unternehmens gibt es Kennzahlen. Sie sind meist nur für große Unternehmen sinnvoll. Man muss genau hinschauen, wenn man sie vergleicht. Das sind z.b. solche Kennzahlen Fragen: Wie viele festangestellte Personaler braucht ein großes Unternehmen für wie viele Angestellte? Eine alte Faustformel sagt 1 oder 1,2 Personaler pro 100 Angestellte. Die Zeiten haben sich geändert. Mehr sind mittlerweile oft notwendig. Und jede Branche ist unterschiedlich.
In kleinen Unternehmen sind solche Zahlen undenkbar. Das macht man mit. Meist der Inhaber bzw. die Inhaberin. Alle Bereiche der Administration sind so klein, dass sie keine Stellen zu lassen. Es gibt keinen Einkauf, kein Personalwesen, keine IT-Abteilung, kein Marketing, kein Sales.
Kleine Bars oder Gastronomen leben vom Kerngeschäft. Es gibt Bar, Küche, Service. Die verdienen das Geld, machen den Umsatz am Point of Sale.
Reinigung, wenn irgend möglich, wird ausgelagert. Steuerberatung bzw. bei Kapitalgesellschaften Jahresabschlüsse machen externe Dienstleister. Wenn es gut läuft, kann auch die vorbereitende Buchhaltung und Lohnbuchhaltung abgegeben werden. Buchhaltung und Dokumentationspflichten sind in der Gastronomie, im Verhältnis zum Umsatz, ungewöhnlich zeitintensiv. Ein Segen, wenn das nicht der oft völlig überarbeitete Inhaber machen muss. Aber alles andere macht irgendwie die Geschäftsleitung.
Auch bei uns hat sich viel geändert. Seit gut 12 Monaten mache ich das meiste “wieder mit”. Irgendwie. Langsam besser organisiert. Durch verschiedene Änderungen im Team haben wir 1,5 Stellen, die sich primär um administrative Arbeiten gekümmert haben, nicht neu besetzt. Die gesamte Teamstärke waren seinerzeit 11 Personen, ein Teil davon in Teilzeit.
Da die Kostensituation in 2023 unerwartet hoch war, habe ich mich dazu entschlossen, diese Stellen für überwiegend administrative Arbeiten nicht neu zu besetzen. Denn die Zahlen haben gezeigt: Es lohnt sich nicht.
Also: Administration lohnt sich immer. Ist überlebenswichtig. Unternehmen müssen organisiert sein. Gastronomie braucht Kontrolle. Aber die entscheidenden Fragen sind: Ist das, was wir täglich machen, wie wir es machen, sinnvoll und effizient? Oder sind wir an einigen Stellen zu aufwändig? Haben sich Dinge verändert, gibt es andere Lösungen, die es einfacher machen?
Wichtig ist das Kerngeschäft: Bringt es Umsatz, sorgt es für glückliche Gäste?
Alles andere muss und darf man gerne hinterfragen. Macht man Dinge um der Dinge willen? Was kann vereinfacht werden? Was sollten wir gar nicht mehr machen?
Ich mache also „alles“ jetzt wieder irgendwie mit. In der ersten Zeit habe ich etwas Chaos verbreitet. In der perfekten Welt sollte das nicht so sein. In der Realität kleiner Unternehmen ist das so. Wenn man sich plötzlich wieder um zu viele Dinge kümmern muss und diese auch hinterfragt. Neue Lösungen “ausprobiert”.
Ich würde gerne erzählen, ich hätte alles strukturiert umgesetzt. Habe ich nicht. Konnte ich nicht. Zu viele To-dos, zu viel Operation und Administration.
Zu viele, und das war wirklich eine hohe Zahl, Krankheitsfälle im Winter.
Einspringen. Nachtschichten. Zeit fehlt.
Ich könnte also sagen, meine Administration Quotient ist aktuell nahe null. Denn wir haben keine Stellen für Administration besetzt. Das ist natürlich nicht richtig. Zum einen übernimmt das Team bereits täglich kleine Bausteine der Administration. Zum anderen muss der Unternehmer seine Zeit ja auch rechnen und einteilen.
Schlaue Bücher und Menschen sagen: Der Unternehmer soll “am” nicht “im” Unternehmen arbeiten. Richtig. Allerdings funktioniert „kleines Unternehmen“ anders.
Die Realität ist: Du machst immer alle drei Bereiche.
- Fachkraft (Drinks mixen, abends im Service arbeiten, Gäste begrüßen, Toiletten checken),
- Management (Administration)
- Unternehmer (am Unternehmen arbeiten)
Vor den Auswirkungen der Pandemie war das Ziel erreicht: Ich war Gastronomieunternehmer. Wir hatten ein administratives Team, das sich im Lion um alles gekümmert hat. Ich war wenig da. Musst nicht da sein.
Mit der Pandemie ist das System durcheinander geraten. War betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll. Ich bin wieder viel da. Ich bin Facharbeiter. Ich habe kein Administrationsteam mehr und bin sehr wenig Unternehmer.
Aber das ist aktuell gut so. Wer Dinge ändern will, muss sich sie anschauen.
Aber mein Ziel ist auch: Die Dinge sollen sich dauerhaft ändern. Ich möchte bei der aktuellen Teamgröße des Le Lion die Administration umgestalten. Ich möchte den Administrations Quotienten gefühlt sehr klein machen. Keine Person mehr für Administration einstellen. Ein verbleibender kleiner Teil wird bei mir bleiben.
Was wir brauchen, ist viel Arbeitszeit am Gast, das ist der Kern unserer Tätigkeit. Verantwortungsbewusste Mitarbeitende und sehr gute Systeme, die frühere Administrationsaufgaben ausgesprochen klein machen. Digitalisierung könnte man jetzt, wie so viele, schreien. Dabei erscheint mir aktuell damit nicht unbedingt ein administrativer Abbau erreicht, sondern auch viel Spielerei. Aber im Kern schon richtig: mit den richtigen Tools und Prozessen den administrativen Aufwand so gering wie möglich machen. In Zukunft müssen sich kleine Gastronomie-Teams eher selbst administrieren.
Als ich 1995/1996 meine Ausbildung zum Kellner im großen Elysee Hotel absolvierte, hat sich der Inhaber Eugen Block sehr unbeliebt beim Bankett Management gemacht. Das Büro der Bankett Oberkellner war immer zu, die “Obrigkeit” saß dort oft stundenlang hinter verschlossenen Türen. Eugen Block gefiel das nicht. Kurzerhand löste er die Büros auf, ließ die Türen verschwinden, baute Fenster ein und schaffte die Schreibtische ab. Stehpulte und offene Räume sollten dazu führen, dass sich kein Bankett-Manager mehr stundenlang im Büro versteckte. Die Oberkellner haben die Abschaffung dieses Privilegs gehasst. Wir haben es gefeiert.
Im übertragenen Sinne müssen kleine Gastronomieunternehmen heute ganz dringend das Büro im Kopf abschaffen. Und das fängt beim Chef, der Chefin an. Der administrative Teil des Business muss optimiert werden. Mit Tools und eindeutigen Prozessen. Und vor der Optimierung kommt die wichtige Frage: Was kann weg? Was sollten wir gar nicht mehr machen? Wegstreichen statt optimieren. Was ist Zeitverschwendung oder Status Getue? Was ist für dein Unternehmer-Ego vielleicht wichtig, bringt dem Gast und dem Unternehmer aber weniger.
Schreibtische gehören aufgelöst. 10 Minuten am Stehpulte im Küchendurchgang müssen für die Administration reichen. Das zumindest soll mein Ziel sein: Administration Quotienten nahe null.
Welchen Schreibtisch hast du vor kurzem kaputt gekloppt? Welche administrative Aufgabe eliminiert? Ich bin gespannt.