Ehrliche Gastronomie mag keiner
Walk-In Situation in einem gut besuchten Restaurant. Großstadt. Ca. 19.30 Uhr.
“Guten Abend, hätten Sie jetzt einen Tisch für vier Personen?”
“Ja, wäre frei. Wie viel Euro möchten Sie ausgeben?”
“Wir dachten so an vier Hauptspeisen, zwei davon sind die etwas preiswerteren vegetarischen. Dann zwei Desserts zum Teilen, Kaffee hinterher. Dazu zwei Flaschen Ihres zweitbilligsten Weines auf der Karte, Wasser und Tüdelü - "Wo wären wir da ungefähr?”
“Das wären dann ca. 300 Euro in Summe, bzw. 75 Euro pro Person. Wir würden Ihnen schon einmal verbindlich von Ihrer Kreditkarte 300,00 Euro abbuchen. Dafür kann ich Ihnen einen Tisch für maximal 90 Minuten anbieten, also bis 21.00 Uhr. Ich würde den Tisch bei dem erwarteten Umsatz danach nochmal vergeben wollen”
“Ja gerne, machen wir so, Brot und Butter sind aber inklusive, richtig?”
“Bei der von Ihnen für hier und heute angekündigten Bereitschaft zum Umsatz wären zwei Körbe Brot mit gesalzener Butter inklusive. Jedes weitere Set würden wir mit 7,50 Euro berechnen. Hätten Sie eine Kreditkarte für mich?”
“Gerne, let’s go” Zuckt die Karte
Ungewöhnlich, oder? Aber ehrlich.
Gastronomie ist Business. Wer keine Gewinne erwirtschaftet, keine Werte erschafft, beutet aus:
- Die Gesellschaft, weil man Hilfen oder Subventionen in Anspruch nimmt, oder mit offenen Rechnungen pleite geht.
- Die Mitarbeitenden, weil man schlecht bezahlt oder mit zu wenig Persona,l zu viel Arbeit erledigen will.
- Die meisten Gastronomen und Gastronomen beuten aber immer, zuerst und ständig, sich selbst aus. Zu viel Arbeit, Sorgen und Risiko, für zu wenig oder keinen Gewinn.
Wie jedes Business muss Gastronomie Gewinne erwirtschaften. Daran ist nichts verwerflich. Möge die Kommunikation des Lokals noch so antikapitalistisch sein. Ist ja auch sympathischer. Und sympathisch, sorgt in der Gastronomie ja oft für mehr Umsatz. Erfolgreiche Gastronomie ist sympathisch.
Die oben erfundene Reservierung Situation wäre ehrlich. Sie findet so aber nicht statt. Der eine oder andere würde das als unverschämt wahrnehmen, verstörend. Oder halt einfach: zu ehrlich.
Jedes Lokal hat, spätestens nach einiger Zeit der Operations und daraus gewonnenen Kennzahlen, die Gewinn-Formel theoretisch parat. Welchen Umsatz pro Zeit benötige ich für eine Anzahl an qualifiziertem Personal in Kombination mit dem Wareneinsatz, Miete und sonstigen Kosten?
Der Faktor Umsatz ist in vielen Gastronomien nicht vom Faktor Zeit zu entkoppeln. Denn viel Umsatz kann nur in einem gewissen Zeitfenster stattfinden. Und es geht darum, in diesem Fenster den Umsatz auf ein gewinnbringendes Niveau zu heben. Gäste brauchen einen Platz, diese sind begrenzt. Es geht um die magische Zahl: Umsatz pro Platz.
Jedes Konzept, jede Idee hat unterschiedliche Kosten. Aufwändige Gastronomie ist teurer. Und je nach Konzept kann der Platz auch nur einmal vergeben werden. Wer Michelin-Sterne genießen möchte, macht dies ungewöhnlich selten mit einem 75 Minuten Zeitfenster. Hat sich auf der anderen Seite ja schon bei der Reservierung auf einen Mindestumsatz von 250+ Euro pro Person festgelegt. Den Platz damit verbindlich für den Abend “gekauft”.
Andererseits haben Konzepte physische Grenzen. Irgendwann sind die Gäste satt. In einer Bar betrunken, es wirkt der Alkohol. Wer Alkohol als Schwerpunkt verkauft, gerade hochprozentigen, hat hier die größte Herausforderung. Denn nach einigen wenigen Drinks ist meistens Schluss, bzw. sollte Schluss sein. Das ist auch besser für den nächsten Tag. Und für das langfristige, sympathische Gefühl, was man mit einer Bar verbindet.
Ehrliche Restaurants sollten nach dieser Logik also in der Öffentlichkeit kommunizieren:
Aufgrund unseres Konzeptes, Servicestandards, Lage und Ausstattung berechnen wir zur Dinnerzeit mindestens Betrag X pro Stunde.
Ehrliche Bars sollen nach dieser Logik proklamieren: Sie müssten hier schon drei Drinks pro Stunde konsumieren, und wenn es wirkt, dann gehen. Wir brauchen den Platz für die nächsten Gäste.
So direkt wirkt es aber alles andere als sympathisch. Wobei gerade mehr Bars in Großstädten nicht mehr mit Reservierungen arbeiten. Sondern mit ehrlichen Time-Slots.
“Wir haben einen Tisch für 90 Minuten”
“Ok, haben sie danach noch Reservierungen?”
“Nein, aber wir sind gut besucht.”
Ehrlich gestanden mag ich das. Ist aber noch ungewöhnlich.
In gehobenen Restaurants kann der Gast auf Minimum-Spending durch Menü-Preise trainiert werden. Mit Storytelling, Qualität, Erlebnis. Sterne Küche macht das. Bars eher nicht.
Wirtschaftlich erfolgreiche Gastronomie lebt aber oft vom Unverbindlichen. Vom voll sein, vom Moment, vom ungeplanten Konsum. Gäste, die bewusst viel Geld ausgeben, sind meist anstrengender. Wer ungeplant mehr Geld ausgibt, sich wohlfühlt, nicht „unter Druck“ steht, ist entspannt in Spendierlaune. Es ist halt sympathischer, wenn "alles kann, nichts muss".
Kleines Klischee zur Verdeutlichung: Es gibt viele Sterne-Restaurants, die alles, alles bis ins letzte durchplanen, perfekt inszenieren, gut kalkulieren und am Ende des Tages keinen nennenswerten Gewinn erwirtschaften. Obwohl sie ausgebucht sind und die Gäste sich täglich auf viele hundert Euro Umsatz festlegen. Während es in Düsseldorf viele Alt-Stadt Wirte gibt, die Ihre Millionen auf dem Konto haben.
Die Idee, egal ob teures Menü oder Walk-In Konzept ist aber immer die gleiche: Die Aufgabe des Wirtes ist es, über die Zeit die Gäste zu featuren, die ein Konzept lieben und hier überdurchschnittlich konsumieren. Die Gäste, die gerne mehr pro Platz und Zeit von sich aus ausgeben.
Das geschieht in der Regel weder ehrlich noch Basis demokratisch, noch wird das groß kommuniziert. Ist aber die notwendige Realität. Die Aufgabe des Wirtes, der Wirtin, ist es, über die Zeit die richtigen Gäste ans Lokal zu binden. Die das Konzept lieben und von sich aus, intrinsisch, hier gerne mehr konsumieren als anderswo. Damit entwickelt sich auch das Business.
Es ist ein feines Spiel. Mit der Zeit muss der erfahrene Gastronom die Stellschrauben justieren, dass die “richtigen” Gäste immer wieder kommen. Gute Gastronomie exkludiert. Meiner Meinung nach nicht brutal ehrlich. Sondern langsam, über die Zeit. Den teuersten Preis draußen ans Lokal zu schreiben, bringt nicht unbedingt die Gäste, die in dem Konzept gerne und häufig konsumieren. Und es geht nicht darum, jeden Besuch eines Gastes zu optimieren.
Aber du musst ehrlich zu dir selber sein, statt zum Gast. Mit der Zeit die Gäste an sich zu binden, die dein Konzept lieben und gerne dort Geld ausgeben, ist deine Aufgabe. Gäste, die dein Konzept lieben, aber auf Dauer keinen Umsatz machen, sind ein Kompliment. Aber kein Business. Wenn du ehrlich bist, musst du die Plätze für andere Gäste bereithalten. Nur darfst du darüber nicht reden. Denn dann wärst du unsympathisch. Und unsympathische Gastronomien mag keiner.