Eine Treppe und viele Meinungen
Heute Nacht habe ich die Tür gemacht. Ich könnte sagen: Die Tür ist der wichtigste Job. Das ist natürlich falsch. Eine kleine Bar ist ein kleines Team. Und in einem kleinen Team ist jede Position wichtig. Bar Kellner, Bar Tender, Bar Back. In jeder denkbaren Geschlechtlichkeit. Jeder muss einen Granaten-Job machen. Sonst funktioniert die kleine Bar nicht, an einem vollen Samstag.
Jede Position ist wichtig. Wichtig ist, für jede Position die richtigen Personen zu finden. Denn wenn jemand eine Position beherrscht, macht er sie gut. Und die wenigsten sind auf allen Positionen sehr gut.
Tür kann nicht jeder. Tür ist ein Geschäft von Sekunden. Von Nuancen. Von Gäste kurz halten können, gewinnen oder verlieren. Ich könnte ein Buch über die Position Tür schreiben. Es würde, denke ich, keiner lesen. Denn jeder Laden ist anders. Jeder Laden, jede Tür hat seine eigenen Regeln und Nuancen.
Seit zwei Wochen haben wir wieder am Freitag und Samstag unseren Pine Room geöffnet. Unseren 1. Stock mit seinen zwei Bars. Ebenfalls 50 bis 60 Personen Kapazität.
Am Wochenende wird dank Pine Room das nächste Level an der Tür freigeschaltet. Denn jetzt muss man in Sekundenschnelle entscheiden: Wer passt wohin? Wie ist gerade die Stimmung in beiden Räumen. Welcher Raum verträgt gerade eine größere Gruppe von 6-8 Personen. Wo fühlt sich das Pärchen wohl, wo starten die fünf Jungs aus Berlin heute richtig durch? Der frühe Abend ist dankbar. Alle freuen sich auf einen ruhigen Sitzplatz. Aber ab 20.00 Uhr bekommt ein Samstagabend eine Dynamik. Da darf kein Raum zu leer werden, denn sonst fehlt den Gästen das Wochenende Gefühl. Wenn es zu leer wird, verlassen Gäste den Raum wieder, und gehen lieber in den volleren. Es ist Wochenende.
Mit zwei Räumen, wenn der Swing anfängt, kann man großartig spielen. Du lässt eine 6er und eine 2er Gruppe hintereinander in die volle Bar. Der Zweiergruppe sagst du im Vorbeigehen “IHR könntet auch nach oben” und du verkaufst ihnen den eigentlich noch zu leeren Raum als etwas Besonderes, und sie fühlen sich gebauchpinselt.
Am schönsten aber finde ich die 50 bis 100 Meinungen, die ich an so einem Wochenende Abend beim Verabschieden höre. Gäste, die oben lieben. Gäste, die unten lieben. Gäste, die nur nach oben wollen. Gäste, die nur nach unten wollen. Beide Räume sind unterschiedlich. Beide Räume haben ob des Raumschnittes eine ganz unterschiedliche Dynamik. Und ein Teil der Gäste liebt den einen Raum, ein Teil den anderen.
Ich höre mir also hundert Meinungen und Geschichten an. Pro und Cons. Nicke, stimme zu, frage nach, bestätigte, hinterfrage. Und denke mir dabei nur: Wunderbar: Hauptsache sie mögen einen Raum und ich kann am Wochenende die doppelte Kapazität platzieren.
Wenn ich eines über die Jahre, 17 nunmehr im Le Lion, gelernt habe, ist, dass man seine Zielgruppe oft nicht wirklich kennt. Oder sich, meist aufgrund der eigenen Vorlieben, falsch einschätzt. Viel zu eng definiert. Sicherlich: man sollte als kleine Bar eine Nische besetzen. Aber dann immer neugierig bleiben. Offen. Denn egal ob ein Raum oder zwei. Deine Gäste lieben deine Bar für sehr unterschiedliche Gründe. Und das solltest du dir auch einmal bewusst machen. Es sind nicht immer die coolsten Drinks oder das sagenhafte Team. Es gibt profane Gründe. Und ganz spezielle. Dutzende. Hunderte. Und das ist gut so.
Du solltest alle die Gründe verstehen. Und featuren. Denn dein Laden hat 8, 9 oder mehr Stunden am Abend geöffnet. Du verkaufst harten Alkohol, was die Verweildauer für die meisten Gäste auf 1-2 Stunden und 2-3 Drinks reduziert. Und du solltest trotz Nische möglichst vielen Menschen gefallen. So, dass die Bar 7 bis 8 Stunden am Abend gut besucht ist. An 5, 6 Tagen die Woche. Von ganz unterschiedlichen Menschen. Mit unterschiedlichen Meinungen. Die alle etwas anderes an deiner Bar lieben.
Es ist egal, was deinen Gästen an deinem Laden gefällt. Mach sie glücklich mit dem, was sie an deinem Laden lieben, nicht du.