Erwartungshaltung killt deinen Abend
Samstagabend. Es ist eskaliert. Vor der Tür.
Der Tag fing scheiße an. Eine Krankmeldung. Oh fuck, wird eng. Noch eine Krankmeldung. Scheiße. Also mit recht dünner Personaldecke durch die Samstagnacht. Mehrfach am Abend war Land unter. An der Bar stauten sich die Drinkbons. Der Laden war ab Sekunde eins voll. Die Wartezeit wurde zu lang. Ich fing an, den Einlass zu begrenzen.
Irgendwann stand eine charmante dreier Gruppe vor der Tür. Aber ich konnte gerade wirklich niemand mehr hereinlassen. Ich reichte drei Glas Champagner raus. Es war saukalt, nebelig, nass. Irgendwas muss man da ja machen.
Kurz darauf kamen vier weitere Personen. „oh, gibts Champagner?“ ... Naja, wir wollen mal nicht so sein. Vier weitere Gläser.
Von drinnen kamen die falschen Signale. Land unter. Das bedeutet: Stellung halten. Niemand hereinlassen. Es muss erst einmal zum Wohle aller die Drinks Liste abgearbeitet werden.
Ist aber hart. Die Schlange draußen wuchs. Die Stimmung kippte. Einige Gäste fragen: wie lange denn noch? Es wurde etwas hoffnungslos.
Angriff ist die beste Verteidigung. Ich schnappe mir 12 leere Champus Gläser, drei Flaschen. Gehe nach draußen. Verteile Flaschen und Gläser „ Mach mal auf“ .. „Hier für Euch",„ Tut mir einen Gefallen - wenn hier gleich Leute herauskommen, gebt Ihnen das Gefühl, dass sie die Party draußen verpasst haben.“ Die Idee gefällt der Menge draußen.
Die Menge draußen wächst auf ca. 30 Personen an. Mehr Champus Flaschen. Und Gläser. Ich schnappe mir ein altes Brotmesser und übe mit den wartenden draußen Champus Flaschen abschlagen. Der Plan geht auf. Draußen ist Party. Die Gäste lernen sich kennen, Champus fließt, alle haben gute Laune und können nicht ganz verstehen, was hier gerade passiert.
Ich gewinne wertvolle Minuten. Die Gäste warten plötzlich in angeregten Gesprächen 15, 20 und mehr Minuten. Und merken es nicht. Die Situation drinnen verbessert sich. Ich kann die ersten wieder nach und nach hereinlassen.
Andererseits: eine Schlange und eine gut gelaunte Gruppe vor der Bar zieht Leute an. Die Schlange wächst. Obwohl ich den Kopf von Zeit zu Zeit gekonnt abschlage.
Also mehr Flaschen raus. Ein Mitarbeitender "kostet" uns in einer langen Nachtschicht 250 bis 300 Euro. Zwei sind krank. Ich „zahle“, nein: erkaufe mir gute Laune. Mit 10, 11 Flaschen Hauschampagner sorgen wir für eine Party in der Kälte.
Nach und nach hole ich mehr Leute rein. Einige haben jetzt schon mehr als 30 Minuten gewartet. In der Kälte. Aber mit Schaumwein und Gespräch.
Und dann sehe ich es in ihren Augen. Wenn ich sie reinhole. Sie sind das erste mal bei uns. Haben sich vielleicht von der Schlange motivieren lassen. "Na, wenn so viele Menschen warten, muss das ja geil sein". Und jetzt das. Nach dreißig Minuten warten in der Kälte kommen sie in einen kleinen Raum, voller Gäste, die Musik ist laut, und ich sehe es ihnen an. Sie denken:
Hä? Das ist alles? Dafür hab ich gewartet?
Zweite Angriffswelle: „Tja, mehr ist es nicht. Und dafür jetzt so lange gewartet? Erwartungshaltung ist das schlimmste…“ spreche ich die Gäste an. Sie lachen. „Ja irgendwie dachten wir, hier ist mehr …?"
Ich betreibe weiter Konversation. Lenke sie von Ihren unbegründeten Erwartungshaltungen ab. Die Gäste bleiben. Nahezu alle bedanken sich beim Herausgehen. Viele Stunden später. "Toller Laden, habs erst nicht verstanden..."
Erwartungshaltung ist der Killer für tolle Abende. So wohl für die Gastronomie. Als auch für die Gäste. Weniger Superlative über Gastronomie erzählen.
Weniger Erwartungshaltung, mehr locker machen. Das sind die besten Abende.