Espresso Martini Games
Vor ein paar Tagen ging ich durch die Große Straße in Vechta, Kreisstadt meines Heimat-Landkreises in Niedersachsen, und kam an einer Eisdiele vorbei. Ihre Terrasse war mit einer kleinen Absperrung von der regen Einkaufsstraße getrennt. “Moin”, das Schweizer Taschenmesser der niedersächsischen Grußformeln, begrüßte die Gäste. Daneben warb ein etwas größeres Schild mit Herzchen für drei Drinks.
• Aperol Spritz
• Wildberry Lillet
• Espresso Martini
Wenn man sehr genau hinschaut, erkennt man, dass der Espresso Martini nachträglich auf dem Schild angebracht wurde. Gefühlt würde ich damit sagen, der Espresso Martini hat es nachträglich in die beliebtesten Drinks der Eisdiele geschafft.
Espresso Martini ist eine Kuriosität. Der Erfolg von Dick Bradsells “wake me up, and then f**k me up" - Klassikers hat es so noch nie gegeben. Dabei war es erst lange sehr ruhig um die explosive Mischung aus viel Vodka, Koffein und einer ordentlichen Portion Zucker. Aber dann hat er langsam Fahrt aufgenommen.
Der Drink wurde in den 1980er Jahren in London kreiert, und er war lange ein eher unbekannter Drink. Barkeeper kannten ihn. Aber er wurde selten bestellt. Wir haben das Le Lion 2007 eröffnet. Die ersten Jahre, viele Jahre, gab es nahezu keine einzige Anfrage auf den Drink. Vielleicht ist es 10 Jahre her, dass es langsam die ersten Bestellungen gab. Als Bartender war ich dankbar für diesen Drink. Denn Vodka galt und gilt als etwas langweilige Mix-Spirituose in Drinks. So konnte man zumindest einen guten Drink mit Vodka servieren. “Liquid Cocain” war der Rufname. Und man konnte die “Qualität” des Drinks diskutieren. War der Espresso gut, nehmen wir Cold Drip, welcher Kaffee-Likör? Es wurde nicht langweilig. Es gab was zu besprechen, ohne über Vodka reden zu müssen. Denn da gibt es wenig zu besprechen. Im Idealfall ist er neutral und hat keine Fuselstoffe.
Aber die Bestellungen mehren sich. Und seit vier, fünf Jahren kenne ich wenig Bars, in denen der Drink nicht ein Topseller ist. Klar. Man kann das steuern. Wenn ein Drink bei Gästen sehr beliebt wird, steigt die Nachfrage. Oder man steigert sie auch selber. Man kann einen Drink auf die Karte nehmen, ihn bewerben und promoten. Und ihm seinen Stempel aufdrücken. So machen wir das oft.
Beim Espresso Martini war ich da etwas selbstverliebt, andere sagen narzisstisch. Dabei hat das Team Schuld. Ich war’s nicht. Glaubt einem ja aber eh keiner mehr.
In 2019 habe ich zusammen mit DeKuyper “Dutch Cacao” entwickelt. Das ist ein klarer, zweifach destillierter Likör aus Cacao Bohnen. Dazu kommen Vanille, Zimt und ein Hauch Arrak. Natürlich passen diese Aromen gut zum Espresso Martini. Und so habe ich angefangen einen Espresso Martini mit einem cl Dutch Cacao zu servieren. Dutch Cacao sehe ich quasi als Espresso Martini Gewürz.
Mit der Zeit bestellten Gäste explizit diese Version und im Team wurde die Order als “Meyer’s Espresso Martini” kommuniziert. Irgendwann fand ich in den Abrechnungen plötzlich einen “Meyer’s Espresso Martini” im Kassensystem. So nahmen wir ihn auf die Karte. Und nach kurzer Zeit wurde es unser zweit meistverkaufter Drink.
Ich habe gerade einmal ins LightSpeed Kassensystem geschaut. In den letzten 12 Monaten, 15 August 2023 bis 15 August 2024, ist es tatsächlich noch der Nummer 2 Drink mit +51.000 Euro Sales. Wobei wir erst seit kurzem den Porn Star Punch, unsere Version des Porn Star Martinis servieren, und dieser bereits Meyer’s Espresso Martini ablöst.
Ich bin gespannt, wie lange der Espresso Martini noch “ the cool peoples choice”bleibt. Denn jetzt gibt es ihn überall. Das macht ihn gedanklich ja nicht unbedingt schlechter. Aber, wenn man ehrlich ist, geht es in der gehobenen Gastronomie auch immer darum, das abgehobene zu verkaufen. Man will nicht das essen und trinken, was “überall” und von "jedem" getrunken wird. Am Ende des Tages natürlich ein etwas albernes Verhalten, denn man sollte trinken was gut ist und einem schmeckt. Aber in der Realität geht es für viele auch um Abgrenzung, seine Gruppe finden, etwas Besonderes machen.
In vielen Bars wird daher seit Jahren kein Wildberry Lillet oder auch Aperol Spritz serviert. Denn das wird “überall” getrunken. Ist aber jetzt mit dem Espresso Martini und dem Porn Star Martini genauso.
Und mit diesen beiden Protagonisten der “neuen” Cocktails, die überall getrunken werden, haben auch die Ready to Serve Premixes der Spirituosen Industrie meiner Meinung nach das erste Mal richtig Erfolg. Die Espresso-Martinis als vorgemischte Flasche, im Zehn Liter Bag in Box, mit Kühlanlage und Stickstoff Zapftechnik sind oft überraschend gut und extrem cremig.
Du kannst jetzt Espresso Martini zapfen. Er hat wahrscheinlich eine 80% Qualität. Ist aber immer gleich und es geht verdammt schnell. Was will man mehr bei einem vollen Event oder auf einer großen Party?
Ein Beispiel: Volume-Spirits bietet in Zusammenarbeit mit DeKuyper eine Draft Cocktails Bag in Box System mit Zapfanlage in Deutschland an. In 5 Liter Boxen gibt es Espresso Martini. Die Zapfanlagen kann man als “Build in” oder “Table Top” anfragen. Ich habe die Drinks ein paar mal auf Events getrunken und muss sagen: Das ist für diesen Einsatz gut. Und solche oder ähnliche Lösungen gibt es von vielen Anbietern.
Damit werden noch mehr Restaurants, Caterer und auch Eisdielen, in Großstädten und auf dem Land, “Cocktails” servieren.
Macht mir das als Bar “Angst”? Nein. Es ist der normale Weg der Dinge. Drinks werden in Bars groß und werden von Spirituosen Produzenten im richtigen Moment genutzt, um industrielle Produkte zu verkaufen. Das war schon immer so. Caipirinha war der Anfang in Deutschland. Gin Basil Smash auf Dose lässt grüßen. Die Ready to Drinks Produzenten haben gelernt. Und vermeiden Drinks, bei denen es um Spirituosen Qualität geht. Diese Vodka Drinks sind dankbar. Denn der Neutralalkohol ist preiswerter als 8 Jahre gereiftes und beim Geschmack geht es um Liköre und Aromen.
Was sich verändert und verbessert hat, ist die Qualität des Ready to Drink. Früher war alles ungenießbar. Heute ist vieles “ok”. Das wird Cocktails noch demokratischer machen, viel zugänglicher. Hat man sich vor 10 Jahren auf einer Hochzeitsfeier noch über einen guten Gin & Tonic gefreut, ist heute die kleine Bar und der Espresso Martini Pflicht. Und eine 80% Qualität auf dem vollen Fest ein Segen.
Die Bar hat endgültig die Hoheit über Cocktails verloren. Daher machen gute Cocktails nicht länger gute Bars aus. Also: Natürlich sind gute Drinks Pflicht für eine gute Bar. Aber das allein ist immer weniger ein Erlebnis, was einen Bar-Besuch rechtfertigt.
Aber die echten Bars und Ihre Barflys, die Gäste, die eine gute Bar lieben, ziehen weiter. Ich denke, Espresso Martini hat Peak Season in guten Bars. In den kleinen Bars wird der Drink langsam weniger bestellt. Denn Bars und ihre Gäste leben vom Ab- und Ausgrenzen.
Denn “People like us, do things like this”.
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Espresso Martini Zapfanlage / Bag in Box: https://www.weinwolf.de/de-kuyper-espresso-martini-bag-in-box-fuer-zapfanlage-807121