Bar-Konzepte ändern sich. Wie ein Gin & Tonic
“Serving Classic Cocktails and a small selection of Champagne”, mit dieser kurzen Beschreibung erklären wir die Idee des Le Lion seit nunmehr bald 17 Jahren. Ich liebe klassische Cocktails. Und ein wenig Champagner für besondere Stunden.
Bei einer “Classic Bar” könnte man denken “Es bleibt alles, wie es ist”. Aber nein, das ist nicht so. Gott bewahre. Classic Bar ist für mich kein Buch mit immer gleichen Rezepten. Es ist ein Gefühl. Das Gefühl für die Idee Classic Bar ist das Konzept. Rezepte, Getränke und Angebot unterliegen Strömungen, Justierungen, Veränderungen und Trends. Und je nach Gefühl geht man diese Entwicklungen ein paar Schritte weit mit, geht voran oder lässt einen Trend an sich vorbeiziehen. Wir ändern uns ständig, um uns treu zu bleiben.
Vorgestern habe ich zwei Gin & Tonic getrunken. Manchmal ist es einfach Zeit für einen Gin & Tonic. Und ich musste darüber nachdenken, wie sich Gin & Tonic über die Jahre im Le Lion verändert hat. Wir änderten das Angebot ständig. Um uns treu zu bleiben.
2007 hatten wir vielleicht 15 bis 20 Gins. Gin war zu der Zeit wichtig in den Bars. Für Cocktails. Viele alte Klassiker wurden wiederentdeckt. Und viele waren mit Gin.
Gin & Tonic war sophisticated. Klassisch. Wir servierten ihn anfangs mit unserem einzigen Tonic: Fenitmans. In der ungewöhnlichen 0,125 ltr Flasche. Very British, exzentrischer Geschmack, wie die britische Küche. Ein starkes Love it or Hate it Produkt. Einige Gäste lieben Fentimans, andere hassten es. Eigentlich gut. Es wurden eh wenig Gin & Tonic verkauft. Die Freaks liebten es.
Gin wurde immer beliebter, Gin & Tonic wuchs langsam mit. Es bedurfte eines Classic Tonic neben dem extremen Fentimans. Thomas Henry war neu am Markt. Von Bartendern, für Bartendern. Seiner Zeit gab es sonst nur Schweppes, und die hatten sich nie wirklich um die Bars gekümmert. Also listeten wir Thomas Henry zusätzlich ein.
Die Gin-Auswahl wuchs auf 60-70 Sorten. Wir hatten die Idee, alle verfügbaren Gin Sorten anzubieten. Und hatten es mit dieser Auswahl nahezu geschafft. Gin & Tonic wurde größer. Es ging um den Gin. Aber derzeit noch viel mehr um die Tonic Vielfalt. Wir listeten 1776 Tonic und Britvic ein, später Polidori. Es gab also jetzt bis zu 5 Tonics zur Wahl. Die ersten Bars starteten, spanischen Gin & Tonic Service Style in der Copita. Die Garnituren wurden immer wilder: Rosmarinzweige, Beeren. Gewürze. Wir entschieden uns, das nicht mitzumachen. Longdrinkglas. Gurken, Zitrone, Orangen, Limetten. Mehr gab es bei uns nicht. Einige Gin & Tonic Liebhaber fanden sich nicht gut bewirtet. In ihren Augen waren wir jetzt eine schlechte Bar.
Monkey 47 und immer mehr Botanical driven und die New Western Gins kamen auf den Markt. Die Idee, alle Gins zu listen, hatten wir schon lange aufgegeben. Es gab viele hunderte Sorten. Einige Gäste kamen nicht mehr zum Cocktail trinken in die Bar, sondern zum Gin & Tonic trinken. Wenn früher vier Gäste Gin & Tonic orderten und damit klar war, dass sie vier x Rutte mit Thomas Henry bekamen, waren es jetzt für jeden Gast unterschiedliche Gins, unterschiedliche Tonics, Beratungsgespräche, schräge Garnitur Wünsche. “Könnten sie noch etwas Pfeffer, wenn mögliche weißen, auf die Gurkenscheiben geben?”
Das war vor ein paar Jahren. Zenit des Gin & Tonic Snobismus in der Bar. Wir haben es versucht, so klassisch wie möglich zu halten. Mir wurde zu viel gelabert für einen simplen Longdrink. Denn eigentlich ist Gin & Tonic ein sophisticated Drink. Dinge entwickeln sich. Konnte ja keiner ahnen, wo die Reise hingeht. Die Geister, die wir riefen.
Also begannen wir, dem entgegenzuarbeiten. Der Gin & Tonic Hype fühlte sich nicht mehr richtig an. Wir fuhren die Tonic Auswahl runter. Und reduzierten sie schließlich schon seit Jahren auf nur noch zwei. Thomas Henry Classic und Dry. Ich glaube, Dry Tonics sind gekommen, um noch ein wenig zu bleiben.
Während draußen die Gin-Blase komplett explodierte, fingen wir an, das Angebot langsam wieder zu reduzieren. Irgendwas um die 30 - 40 Sorten.
Eine globale Pandemie ließ den Gin Tonic Konsum beim Konsumenten zu Hause noch einmal so richtig durch die Decke gehen. Viele kleine Gin-Hersteller hatten Höhenflüge, um nur vier Jahre später, 2024, hart aufzuschlagen oder Insolvenz anzumelden.
Viele Nischen-Tonics verschwanden aus den Bars. Die Getränkefachgroßhändler starteten, ähnlich wie viele Gastronomen, nach der Pandemie mit einem sehr kleinen Sortiment. Die Nischenprodukte flogen raus.
Aber nach der Pandemie konnten wir an unseren Gästen etwas beobachten: Sie haben sich zu Hause während der Pandemie am Gin & Tonic Spiel satt getrunken. Fast niemand fragt mehr nach den speziellen Tonics. Und auch die Gin-Nachfragen werden immer weniger.
Unsere Gin-Auswahl wird kleiner, vielleicht sind es 20. Und sehr viel Gin wird in Cocktails getrunken. Gin & Tonic ist wieder das, was er schon immer in einer guten Bar war: ein sophisticated Drink. Ohne viel rum gelaber.
Und gerade die „Klassik“ Fraktion wächst. Sie sehnen sich nach einem Wacholder lastigen "klassischen" Gin und einem knackigen Tonic, ohne viel Tüdelü. Erfrischend. Lecker.
Gewinner sind die großen Brands. Die Konsumenten und Bars fallen auf sie zurück. Das ist von einem romantischen Standpunkt aus schade, aber verständlich. Wer sich als Bar Mühe gibt, verkauft weiterhin Brands jenseits von Tanqueray, Bombay & Co. Das Interesse an gutem Gin ist weiterhin da. Nach jedem großen Trend bleibt was hängen. Mehr Wissen für die Sache, mehr Qualitätsverständnis. Und etwas mehr Liebe für guten Gin & Tonic.
Wir haben unser Gefühl für Gin & Tonic über die Jahre angepasst. Um “klassisch” zu bleiben, haben wir uns verändert. Jetzt servieren wir den meisten Gin wieder in Cocktails.
Aber: Wenn die Bar mal sehr voll ist und die Drinks sehr lange dauern, bestellt der clevere Profi seit jeher einen schnellen Gin & Tonic. Daran hat sich nichts geändert.