Nachhaltig beeindruckt
Der Wunsch nach Aufmerksamkeit sorgt für Buzzword bzw. Bullshit Bingo. Ich bin hier auch nicht frei von Fehlern hier. Aber es gibt so einige Buzzwords, die triggern mich. Und die vermeide ich. Nachhaltigkeit und Sustainability ist so eine Bullshit Bingo Reihe.
Dahinter verbergen sich großartige Ziele. Nachhaltig zu arbeiten, ist super. Nichts unnötig wegzuschmeißen und Müll zu vermeiden, ebenso.
Aber.
Vor ein paar Jahren hatte ich einmal einen unternehmerischen Ausflug in die Food Branche. Ich war an einem kleinen Start-Up beteiligt. Die Idee: Die Pulpe aus der Kakao-Frucht verwerten. Tolles Produkt. Allerdings erkannte ich, dass die Food Branche hier recht Marktschreierisch unterwegs ist. „Das ist UPCYCLING!“
Weiß ja nicht.
Ja, man verwertet einen Teil der Frucht, der vorher nicht genutzt wurde. Aber: Wir reden hier von Fruchtfleisch. Das sonst auf den Feldern liegt und wieder in den Ökokreislauf kommt. Oder als Bio-Abfall dem wieder zugeführt wird.
Viel wichtiger: Die Pulpe oxidiert extrem schnell. Das bedeutet man muss ganz anders Ernten, sofort Kühlen, Kühlketten einhalten. Wenn wir das „claimen“ dann bitte die ganze Rechnung aufmachen. Wollte aber keiner. Kompliziert. Wie so oft.
Der Ausflug war kurz. Mein gesamt Eindruckt der Food Branche war in Summe sehr ernüchtern: viel Buzzwords, wenig Inhalt.
Aber: vor ein paar Tagen hat mich Nachhaltigkeit beeindruckt. Ich saß mit Holger Sturm zusammen. Ich kenne ihn, da er vor einigen Jahren das Café Paris übernommen hat. Quasi mein Gastro Nachbar. Aber er macht noch mehr. Teehandel, Kaffeehandel, einige Gastronomien, eine Feinkost Manufaktur „Collier“ und das MUTTERLAND. MUTTERLAND hat er ebenfalls vor einiger Zeit ganz übernommen.
Nun saßen wir im Mutterland, tranken einen Gin & Tonic und er sagte: Du musst mal unseren Haus-Aperitif probieren.
„Ok“
Rote Flasche, "Apero Spritz", Orangig, fruchtig, Bitter.
„OK“, sagte ich. Schmeckt gut, dachte ich. „Wieso macht ihr das?“, fragte ich
Und Holger erzählte mir vom MUTTERLAND. Dass er sich erstmal den Laden angeschaut hat. Was hier jeden Tag durchgeht, was hier jeden Tag anfällt. Er hat sich jetzt irgendwo eine Maschine gekauft. „Pasteurisierungs Dings Da“. Und will jetzt mit einem Bauern vor Hamburg die Milch fürs Mutterland direkt machen. Der Bauer bekommt mehr Geld. Das MUTTERLAND frischeste Milch zu einem besseren Preis.
„Hört sich gut. Und der Aperitif?“
Holger hat gesehen, wie viel Kisten Orangen im MUTTERLAND am Tag für frischen O-Saft gepresst werden. Und wie viel davon täglich in die Bio-Tonne geht. Also hat er dem Team gesagt: friert das bitte immer direkt ein.
Dann gab es Testläufe bei Collier. Wie man aus frischen Orangen und Alkohol einen Auszug bekommen? Dann die ersten Produkte: Ein Orangen-Absinth. Gut. Aber zu spezielle. Dann Richtung Aperitif. Feedback von Gästen eingeholt. Als Spritz serviert. Das kam gut an.
„Also sind wir bei Orangen-Bitter Aperitif gelandet. Den wir hier als Spritz servieren. Und für zu Hause in Flaschen füllen. Ein paar tausend Flaschen haben wir bereits verkauft.
Erfrischend! Analysieren, verbessern, umsetzen. Pragmatische, hemdsärmelige Nachhaltigkeit „à la Holger“ beeindruckt mich. Da passt das Wort.
Auf der Flaschenrückseite entdecke ich dann „Der enthaltene Orangenauszug wird aus den Schalen der frisch gepressten O-Säfte unserer Gastronomie gewonnen. Ganz nach dem Motto: Zero Waste!“ und muss ein wenig schmunzeln.