2 min read

Rezepte

Heute Nachmittag hatte ich ein Tasting mit interessierten Gästen, und wir verwickelten uns in eine, philosophisch wäre vielleicht zu hoch gegriffen, sagen wir, interessante Diskussion: Was ist eigentlich ein Rezept? Und dabei ging es primär um Cocktailrezepte. Denn, und das ist mein Punkt, ich glaube, "Kochen" ist in weiten Teilen etwas anderes.

Der springende Punkt ist: Die Bar verwendet in der Regel bereits weiterverarbeitete Produkte. Wir "vermischen" oft – nicht immer – anderer Leute Arbeit. Der Whisky, der Vermouth, der Likör – die haben andere Menschen hergestellt. Gerade bei den puren Spirituosen oft mit viel Herzblut, und nicht immer mit dem Gedanken, dass ein Bartender das Ganze nun mit Zitrone, Zucker, Gott bewahre, gar Basilikum, "süffig" macht und ihm die Ernsthaftigkeit raubt. Kochen ist da oft anders. Da produziert man selbst aus Rohstoffen. Anders als in der Bar. Mehl, Eier, Filet, Gemüse. Da geht es seltener um anderer Leute Vorarbeit.

Wenn wir aber über Cocktailrezepte reden, reden wir über Marken. Natürlich vermeiden das einige Autoren und Quellen. Da lautet ein Negroni-Rezept dann: "1 Teil Vermouth Rosso, 1 Teil Gin, 1 Teil – ja, gute Frage: Campari oder italienischer Bitter?" No Campari, no Negroni. Aber es gibt so Cocktailrezepte, gerade bei Klassikern, die vermeiden Marken. Das ist schade, denn eine Marke gibt dir eine Vorstellung, wie der Autor den Drink gedacht hat. Aber solche "Grundrezepte" für Drinks sind hilfreich. Man mixt sich seine ersten Versuche und findet dann irgendwann seinen "Drink" mit dem Rezept, was man im Kopf hat.

Die Frage in der Diskussion um einen Negroni: Der Gast schwört auf Antica Formula. Er hat vor Kurzem einen Negroni mit Cinzano Rosso gemixt. Schmeckt ihm nicht. Also schlechter Vermouth? Ich habe widersprochen. Sicherlich, Antica Formula ist das "hochwertigere Produkt". Komplexer im Aroma. Aber: Man kann natürlich auch mit einem Cinzano Rosso einen sehr guten Negroni mixen. Man muss halt nur ein gelerntes "Rezept" infrage stellen. Denn ein Rezept, zumindest in der Barwelt, bezieht sich immer auf Marken und Stilistiken. Und wenn man eine Zutat im Drink ändert, die Zutat aber auch eine andere Machart hat, schmeckt der Drink natürlich mit dem gleichen Rezept "anders" oder eben auch schlechter.

Die entscheidende Frage ist aber: Kann ich das Rezept auf die neue "Machart" anpassen, sodass ein Drink entsteht, der die Idee des Rezeptes besser widerspiegelt und einen sehr guten Drink ergibt? Mit auf die Machart der Produkte angepassten Zutaten. Oder weiter gedacht: Habe ich ein Rezept für einen perfekten Drink im Kopf? Und wenn ich "andere" Zutaten für diesen Drink ausprobiere und der Drink dann anders schmeckt, ist es dann ein schlechter Drink? Oder bin ich ein schlechter Bartender, weil mir die Erfahrung fehlt, die Idee des Drinks mit neuen Zutaten und angepasstem Rezept auch genau zu treffen?

Ich glaube, ich konnte den Gast nicht überzeugen. Sein Negroni muss zu gleichen Teilen mit seinen Lieblingsprodukten sein. Alles andere schmeckt ihm nicht. Fairer Punkt. Ich aber mag den Bartender, der vor einer fragwürdigen Hausbar steht, sich die Zutaten darauf anschaut und aufgrund seiner Erfahrung die Rezepte anpasst, um mit dem, was man hat, die Idee des Drinks zu treffen. Oder eben auch in der Bar "neuen" oder anderen Produkten die Chance und Aufmerksamkeit gibt, sie zu verstehen und eventuell die Rezepte anzupassen, um die andere Zutat perfekt zu machen. Ein Daiquiri schmeckt mit jedem Rum anders. Mit einem speziellen Rum ist es dein Lieblings-Daiquiri. Aber: Deswegen ist es nicht der beste. Oder das einzig wahre Rezept. Rezepte sind wichtig, um die Idee von Drinks zu verstehen. Wenn man sie verstanden hat, ist es die wichtigste Regel, diese Rezepte bei neuen Zutaten zu missachten.